Wie eine Chinesin schwanger wird – Leseprobe

Luo Lingyuan

Wie eine Chinesin schwanger wird


Wenn er spricht, strahlt Sui Kang so viel Sanftmut aus, dass seine Gesprächspartner bald von ihm eingenommen sind. Es ist nicht verwunderlich, dass auch die Tochter seiner milden Beharrlichkeit unterliegt und verspricht, genau das zu tun, was er von ihr wünscht. Ja, sie werde jeden Schritt ernsthaft und wissenschaftlich planen, verspricht sie.
Kaum ist das Gespräch beendet, kommt die Mutter auf Tingyi zu. »Hier«, sagt sie und hält ihrer Tochter eine schwere Goldkette hin. »Der Wahrsager hat gesagt, du sollst im Frühling und im Winter stets Gold bei dir tragen. Am besten Tag und Nacht. Deswegen habe ich dir eine Kette gekauft.«
Tingyi wirft einen entgeisterten Blick auf das protzige Schmuckstück. »Mama, die war sicher sehr teuer, aber ich kann sie nicht tragen.«
»Aber warum denn nicht?«
»Sie … besitzt keine Seele. Das ist etwas für die neuen Reichen. So was darf ich in Deutschland nicht zeigen.«
Das Lächeln der Mutter wird kleiner. »Hier ist es große Mode. Viele tragen sie unter dem Pullover.«
Als die Tochter immer noch kein Interesse zeigt, sagt sie schmeichelnd: »Wir gehen morgen zusammen zum Juwelier und kaufen dir eine andere Kette. Aber heute musst du sie tragen.«
Sie legt der Tochter die Kette um den Hals. Tingyi spürt das Gewicht des edlen Metalls und wird etwas milder. Sie ahnt, dass die Kette viel Geld gekostet hat, und will die Mutter nicht noch mehr kränken. »Lass nur, Mama. Ich trage sie schon.« Sie hilft der Mutter, die Kette zu schließen.
Als das Schmuckstück an Tingyis schmalem Hals glänzt, lächelt die Mutter zufrieden. »Ich finde, du siehst ganz bezaubernd aus.« Dann klingt sie noch schmeichelnder als zuvor: »Könntet ihr Maomao bei euch schlafen lassen?«
»Was?« Tingyi spürt keine Lust dazu. »Was sollen wir denn mit dem Schreihals? Er zappelt die ganze Nacht herum, und wenn er ins Bett macht, haben wir alle keine Ruhe mehr. Das kann ich Robert nicht zumuten.«
»Es ist doch nur für eine Nacht«, bittet die Mutter und lächelt die Tochter erneut geheimnisvoll an. Aber dann kann sie ihre Gedanken nicht länger für sich behalten: »Maomao wird die fehlende Kinderluft bei euch verbreiten. Alle sagen, der Körper einer Frau muss gelockert werden, damit sie ein Kind kriegt.«
»Du meinst, ich kriege dann auch so einen Sohn wie Maomao?«, fragt die Tochter. Ihr wird auf einmal klar, dass ihre Mutter den Jungen ganz bewusst herbestellt hat.
»Ja, so einer wie Maomao, der vor Energie strotzt, gesund ist und kräftig …«
Während die Mutter noch die Vorteile des Jungen aufzählt, steht Tingyi abrupt auf und lässt sie im Wohnzimmer stehen. Im nächsten Augenblick zerrt sie Maomao hinter sich aus dem Schlafzimmer. »Ich habe etwas Schönes für dich!«, sagt sie dem widerstrebenden Jungen.
Und das ist nicht mal gelogen. Sie zieht ein Tütchen mit Sahnebonbons aus der Handtasche und hält es dem Kleinen hin. Dass die Süßigkeiten eigentlich gar nicht für den Jungen bestimmt waren, behält sie natürlich für sich. Als Maomao sich über das Säckchen hermacht, sagt sie zu ihrer Mutter:
»Dein Liebling schläft besser bei dir. Und du kriegst ein anderes Enkelkind, auf das du genauso stolz sein kannst.«
Kaum hat sie den Satz ausgesprochen, flitzt sie eilig ins neue Gästezimmer, schließt mit demonstrativem Knacken die Tür und schiebt den Riegel vor. Als die Mutter ihr folgen will und an die Tür klopft, behauptet Tingyi: »Ich bin schon eingeschlafen«, und schickt sogar ein freches Schweinegrunzen hinterher.
Robert, der im Bett sitzt und Tagebuch schreibt, schaut sie fragend an. Tingyi klatscht vergnügt in die Hände. »Jetzt ist Schlafenszeit«, kündigt sie an. Dann krabbelt sie über Robert hinweg ins Innere des Bettes und knipst einfach das Licht aus. Die Goldkette löst sie im Dunkeln von ihrem Hals und steckt sie unter das Kopfkissen.
Tingyi legt sich auf die Seite und versucht einzuschlafen, als sie Roberts Hand auf dem Rücken spürt. Vom Streicheln bekommt sie nie genug und kann vor Wohlbefinden schnurren wie eine Katze. Mit seinen Händen macht er sie weich wie Butter, und mit seinem Streicheln wird er unwiderstehlich. Aber heute klappt es irgendwie nicht. Tingyi liegt da, als spüre sie seine Hände gar nicht. Als er nach ihren Brüsten tastet, klemmt sie die Arme zusammen und lässt es nicht zu. Als er daraufhin noch nicht aufgibt, greift sie nach seiner Hand und legt sie an seinen Körper zurück.
»Du bist noch nicht ganz gesund. Machen wir lieber einen Tag Pause, damit du wieder zu Kräften kommst«, sagt sie.
»Ich bin kräftig genug.« Wie ein Schuppentier kriecht er mit der Bettdecke zu ihr herüber. »Fass mich mal an.«
»Meine Planktonallee ist schon eingeschlafen«, gähnt Tingyi und schiebt seine Hand von ihrem intimsten Organ.
»Aber in Berlin bin ich ihr doch immer willkommen«, wundert sich Robert im Dunkeln.
»In Kanton ist sie zum Yin-Yang-Rhythmus zurückgekehrt. Jetzt ist Ruhezeit. Du musst warten, wenn du mit Sehnsucht empfangen werden willst«, flüstert Tingyi.
Robert presst die Hände gegeneinander, bis die Finger knacken. Er will sich nicht damit abfinden, dass die Nacht ohne Taten vergehen soll. »Deine Eltern haben das Zimmer mit so viel Aufwand hergerichtet«, sagt er. »Du willst sie doch nicht enttäuschen, oder?«
»Das war mehr symbolisch«, sagt sie. »Schön, dass du das alles so ernst nimmst, Roloko, deswegen habe ich dich auch sehr lieb. Gute Nacht!«
Ach, darüber zu reden ist immer schlecht. Das vertreibt bloß die Lust, denkt Robert und rollt sich zähneknirschend zusammen. Er wird sich offensichtlich gedulden müssen.                                                                                                       
Der nächste Tag ist ein Sonntag. Es ertönt keine ohrenbetäubende Musik, der Kindergarten hat zu. Dennoch wacht Robert wie gewöhnlich früh auf. Er legt sich auf die Lauer und wartet so lange, bis Tingyi den Kopf dreht. Ein Zeichen, dass sie bald aufwachen wird.
Robert zögert nicht und beginnt seine Freundin zu streicheln. Sie ist warm und weich, wie ein frisch gebackenes Croissant. Und sie scheint noch nicht in der Lage zu sein, sich zu wehren. Doch er irrt sich. Als seine linke Hand mit ein wenig Nachdruck in die Planktonallee vorzustoßen versucht, beginnt die Lage schnell unbequemer für ihn zu werden. Tingyi kneift die Beine zusammen und dreht sich von ihm weg. Als er versucht, sie festzuhalten, wird Tingyi wütend. »Willst du mich vergewaltigen oder was?« Sie schnellt ein Bein hoch und versetzt ihm einen Stoß gegen die Brust.
Das Warnsignal ist nicht zu übersehen. Erschrocken lässt Robert die Freundin los. »Ich dachte, du willst ein Baby«, sagt er mit einem verlegenen Lachen.
»Das ist kein Grund, mich so zu bearbeiten.«
»Wenn du mich nicht mal reinlässt, wo sollen wir dann ein Kind herkriegen?«, sagt Robert beleidigt.
»Lass uns bis heute Abend warten oder bis morgen«, murmelt Tingyi und wickelt sich in ihre Decke. »Wir machen immer zwei bis drei Tage Pause dazwischen, in Ordnung? In Berlin können wir dann wieder tun und lassen, was wir wollen, okay?« Sie schließt die Augen und lässt den Mann an seinen Fingernägeln kauen.
Aber Lust hat Robert jetzt sowieso nicht mehr. »Sollen sie doch ihr Kind herkriegen, wo sie wollen«, denkt er und betrachtet böse den Rücken der Freundin (…)